Finetrading und Reverse Factoring – eine alternative Finanzierungsform?

Die gültigen Vorschriften zur Bankenregulierung (Basel III) haben auf die Finanzierungsoptionen von Unternehmen immense Auswirkungen. Insbesondere die hieraus resultierenden erhöhten Eigenkapitalanforderungen für Kreditinstitute führen zu strengeren Kreditvergaberichtlinien sowie erhöhten Kreditkonditionen. Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen streben daher eine erhöhte Unabhängigkeit von ihren Hausbanken an, indem vermehrt auf alternative Finanzierungsformen zurückgegriffen wird.

Im vierten Beitrag unserer Reihe gehen wir auf Finetrading und Reverse Factoring als alternative Finanzierungsformen für Unternehmen ein. Unser Beitrag richtet sich an Geschäftsführer, CFOs oder Leiter Finanzen als Verantwortliche im Unternehmen.

Was ist Finetrading? 

Der Begriff Finetrading setzt sich zusammen aus den beiden englischen Begriffen finance (Finanzierung) und trading (Handel). Hierunter ist eine bankenunabhängige Dienstleistung zur Vorfinanzierung der Betriebseinkäufe von Unternehmen zu verstehen, weshalb Finetrading häufig auch als Lager- oder Einkaufsfinanzierung bezeichnet wird.

Ein Unternehmen benötigt neue Waren für die eigene Produktion oder Leistungserbringung, verfügt jedoch nicht über das hierfür notwendige Kapital. Aus diesem Grund beauftragt das Unternehmen einen Finetrader, welcher – nach erfolgreicher Bonitätsprüfung des Auftraggebers – die benötigten Waren beim Lieferanten einkauft. Der Lieferant erhält somit den fälligen Betrag vom Finetrader und liefert im Anschluss die entsprechenden Waren direkt an das Unternehmen aus. Weiterhin wird zwischen dem Unternehmen sowie dem Finetrader ein separater Vertrag abgeschlossen, welcher die Begleichung der Warenrechnung zu einem bestimmten Zahlungsziel (häufig bis zu 120 Tage) festlegt. Es entsteht somit ein Dreiecksgeschäft zwischen Finetrader, Lieferant und Unternehmen, in welchem der Finetrader sowohl als Zwischenhändler als auch als Vorfinanzierer der benötigten Waren agiert. Der Lieferant profitiert hierdurch von einer zuverlässigen Zahlung durch den Finetrader, wohingegen das Unternehmen seine Liquidität - aufgrund des verlängerten Zahlungsziels mit dem Finetrader - schonen kann.

Die folgende Abbildung veranschaulicht den Ablauf des Finetradings: 

Einsatzbereiche und Kosten des Finetradings

Finetrading eignet sich vor allem für Unternehmen im Produktions- bzw. Handelssektor, wo regelmäßig Waren in hohen Stückzahlen bestellt werden müssen. Insbesondere bei saisonal bedingt erhöhten Wareneinkäufen sowie bei Wachstumsspitzen kann die durch den Finetrader bereitgestellte zusätzliche Liquidität den Entwicklungsprozess von Unternehmen erfolgreich beeinflussen. Darüber hinaus können Unternehmen - aufgrund der schnellen Bezahlung der Lieferanten durch den Finetrader – möglicherweise von verbesserten Einkaufskonditionen profitieren. Finetrading ist i.d.R. bereits für Einkaufsvolumina ab 100.000 EUR möglich und insofern auch für kleinere Unternehmen geeignet.
Für die Bereitstellung des Finetradings werden individuelle Gebühren erhoben, welche zwischen den Anbietern variieren können. Die Höhe der Gebühren hängt hierbei insbesondere von der Art der Ware, dem jährlichen Einkaufsvolumen, der Bonität des Unternehmens sowie der tatsächlichen Nutzungsdauer ab. 

Vor- und Nachteile des Finetradings

Die zentralen Vor- und Nachteile des Finetradings lassen sich wie folgt darstellen:

Vorteile:

  • Sofortige Liquidität für den Lieferanten (verbessertes Lieferantenverhältnis)
  • Verbesserte Einkaufsbedingungen für den Käufer durch Nutzung von Skonti 
  • Verlängerte Zahlungsziele für das Unternehmen ggü. Finetrader (Schonung der Liquidität)
  • Erhöhte Flexibilität (keine Bonitätsprüfung der Lieferanten notwendig)
  • Verringerte Unabhängigkeit ggü. Banken (Entlastung der Kreditlinien)

Nachteile:

  • Abschluss eines Finetrading-Vertrags oftmals nicht für jedes Unternehmen geeignet / möglich (z.B. Unternehmen in Krisensituationen, junge oder verschuldete Unternehmen, Unternehmen aus Risikobranchen)
  • Hoher Aufwand bei der technischen Implementierung (z.B. Integration in bestehende IT-Systeme, z.T. Spezial-Software benötigt)
  • Ggf. höhere Kosten im Vergleich zu langfristigen Bankkrediten (z.B. erhöhte Gebühren im Falle einer fehlenden optimalen Bonitätsbeurteilung bzw. einer regelmäßigen Ausschöpfung der Zahlungsziele des Finetraders)

Was ist Reverse Factoring?

Reverse Factoring stellt das klassische Factoring im umgekehrten Sinne dar und wird demnach als „umgekehrtes Factoring“ übersetzt. Im Unterschied zum klassischen Factoring finanziert der Abnehmer nämlich nicht seine Forderungen, sondern seine Verbindlichkeiten ggü. Lieferanten, weshalb Reverse Factoring auch als Einkaufsfactoring oder Lieferantenfactoring bezeichnet wird.

Beim Reverse Factoring bestellt ein Unternehmen die für die Produktion bzw. Leistungserbringung benötigten Waren beim Lieferanten und leitet die hieraus resultierende Rechnung an den Factorer weiter. Der Factorer bezahlt daraufhin - nach zuvor erfolgter Bonitätsprüfung des Auftraggebers – die entsprechende Rechnung des Lieferanten. Weiterhin wird zwischen dem Unternehmen sowie dem Factorer ein vertraglich festgelegtes Zahlungsziel vereinbart, in welchem die Begleichung der durch den Factorer vorfinanzierten Warenrechnung erfolgen muss. Das genaue Zahlungsziel variiert hierbei zwischen den Factoring-Anbietern, wobei i.d.R. ebenfalls verlängerte Zahlungsziele (z.B. 150 Tage) gewährt werden. Folglich entsteht auch beim Reverse Factoring ein Dreiecksgeschäft zwischen Factorer, Lieferant und Unternehmen. Der Lieferant profitiert hierdurch ebenfalls von einer zuverlässigen Zahlung durch den Factorer, wohingegen das Unternehmen seine Liquidität schonen kann aufgrund des verlängerten Zahlungsziels mit dem Factorer.

Die folgende Abbildung veranschaulicht den Ablauf des Reverse Factorings:

Finetrading und Reverse Factoring werden häufig synonym verwendet, wobei beide Finanzierungsformen Unterschiede aufweisen. So kauft der Finetrader die benötigten Waren beim Lieferanten ein und verkauft diese im Anschluss erst an das Unternehmen weiter. Beim Reverse Factoring ist hingegen das Unternehmen der Käufer der Ware, sodass lediglich die entsprechende Verbindlichkeit vom Factorer übernommen wird. Darüber hinaus wird aus juristischer Sicht lediglich ein Vertrag zwischen dem Finetrader sowie dem Unternehmen abgeschlossen, wohingegen beim Reverse Factoring zwischen allen Geschäftspartnern separate Verträge (Factoringvertrag mit dem Lieferanten sowie Factoringvertrag mit dem Unternehmen inkl. Gegenzeichnung des Lieferanten) vereinbart werden müssen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht beinhaltet das Reverse Factoring ggü. dem Finetrading zudem häufig höhere Einkaufsvolumina (ab 10 Mio. EUR), wodurch Reverse Factoring eher für größere Unternehmen geeignet ist.

Einsatzbereiche und Kosten des Reverse Factorings

Reverse Factoring eignet sich insbesondere für Unternehmen mit mehrstufigen Lieferketten, wie es beispielsweise in der Automobilindustrie der Fall ist. Mithilfe von Reverse Factoring sichern sich Unternehmen dauerhaft die eigene Warenversorgung, indem die notwendigen Lieferanten zügig bezahlt werden und daher eine zuverlässige Warenversorgung ermöglichen. Kommt es hingegen zu einer Unterbrechung der Zulieferungskette aufgrund von Zahlungsschwierigkeiten eines Zulieferers, so ist etwa in der Automobilindustrie ein vollständiger Produktionsstillstand zu befürchten. 

Für die Bereitstellung des Reverse Factorings werden ebenfalls individuelle Gebühren erhoben, welche zwischen den Anbietern variieren können. Im Regelfall werden diese Gebühren vom beauftragenden Unternehmen getragen, teilweise beteiligen sich jedoch auch Lieferanten an den Gebühren aufgrund des hierdurch zügigeren Geldeingangs für die gelieferten Waren. Wie auch beim Finetrading, wird vor dem Vertragsabschluss die Bonität des Unternehmens durch den Factoring-Anbieter überprüft.

Vor- und Nachteile des Reverse Factorings

Die zentralen Vor- und Nachteile des Reverse Factorings lassen sich wie folgt darstellen:

Vorteile:

  • Sofortige Liquidität für den Lieferanten (verbessertes Lieferantenverhältnis)
  • Verbesserte Einkaufsbedingungen für den Käufer durch Nutzung von Skonti
  • Verlängerte Zahlungsziele für das Unternehmen ggü. Factorer (Schonung der Liquidität)
  • Dauerhafte Vorfinanzierung größerer Bestellmengen möglich
  • Verringerte Unabhängigkeit ggü. Banken (Entlastung der Kreditlinien)

Nachteile:

  • Vertragliche und administrative Umsetzung relativ zeitaufwendig (Bonitätsprüfung sämtlicher Lieferanten notwendig)
  • Abschluss eines Reverse Factoring-Vertrags oftmals nicht für jedes Unternehmen geeignet / möglich (wird häufig nur sehr bonitätsstarken Unternehmen angeboten)
  • Ggf. höhere Kosten im Vergleich zu langfristigen Bankkrediten (laufende Reverse Factoring-Gebühren sowie mögliche Sonderzahlungen für Bonitätsprüfungen o.ä.)

Fazit

Alternative, bankenunabhängige Finanzierungsformen gewinnen vor allem aufgrund der gültigen Vorschriften zur Bankenregulierung (Basel III) bzw. den hieraus resultierenden strengeren Kreditvergaberichtlinien durch Banken und Sparkassen zunehmend für kleine und mittelständische Unternehmen an Bedeutung. Beispiele solcher Finanzierungsformen sind Finetrading und Reverse Factoring, welche in der Praxis häufig synonym verwendet werden. Allerdings agiert der Finetrader als (Zwischen-)Käufer der benötigten Waren vor dem Weiterverkauf an das beauftragende Unternehmen, wohingegen beim Reverse- Factoring lediglich die aus dem Wareneinkauf resultierende Verbindlichkeit vom Factorer übernommen wird. Weiterhin treten Unterschiede bei der Vertragsgestaltung zwischen dem Finetrading (ein Vertrag zwischen dem Unternehmen als Auftraggeber sowie dem Finetrader) und dem Reverse Factoring (separate Factoring-Verträge zwischen allen Geschäftspartnern auf Unternehmens- bzw. Lieferantenebene) auf. Die Eignung dieser beiden Finanzierungsformen für kleine und mittelständische Unternehmen hängt hierbei von einer Vielzahl an Faktoren ab. Neben finanziellen Aspekten (z.B. mögliche Implementationskosten bzw. Gebühren) sind insbesondere die Unternehmensstruktur sowie das entsprechende branchenspezifische Umfeld (z.B. Bonität des Unternehmens, Abhängigkeit von Lieferketten) zu berücksichtigen.

Als TMC Turnaround Management Consult GmbH verstehen wir uns als Experten für Sondersituationen und begleiten unsere Mandanten durch Umbruchphasen mit unterschiedlichsten Problemstellungen. Hierzu zählt auch die Unterstützung bei alternativen Finanzierungsvorhaben. Aufgrund der Komplexität dieser Vorhaben sollten alle Chancen und Risiken, welche sich aus der Nutzung ergeben, genau abgewogen werden. Dabei stehen Ihnen die Experten der TMC zur Seite. Sprechen Sie uns gerne an.

 


Die Autoren: 

Christian Lützenrath ist geschäftsführender Partner der TMC Turnaround Management Consult GmbH. Er ist Fachmann für Interimsmanagement, Restrukturierungsberatung, Sanierungsmanagement und Fortführung in der Insolvenz. Außerdem begleitet er M&A-Prozesse. 

Alexander Roltsch ist Senior Consultant bei der TMC Turnaround Management Consult GmbH. Während seiner Tätigkeit für die TMC begleitete er bereits zahlreiche Restrukturierungsprojekte, insbesondere im Bereich der Finanzplanung. 

In dieser Reihe ist bereits erschienen:

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